"Erst noch einmal atmen.", flüstere ich ihm lächelnd zu, während meine Finger unter sanftem Druck über seine Brust streicheln. "Du machst das großartig, Tristan. Du bist großartig!" Er atmet und ich atme mit. Auch wenn ich versucht habe es nicht zu zeigen, war und bin ich aufgeregt. Tristan ist seit sehr langer Zeit, der erste Mann, den ich meinen Eltern vorstelle. Wenn ich es recht bedenke, kann man bei Steven nicht recht davon sprechen, dass ich ihn ordentlich meinen Eltern vorgestellt habe, denn ich war ein Teenager und es war eine andere Zeit. Also genau genommen ist er der erste Mann überhaupt, den ich meinen Eltern derart vorstelle. Ich atmen also mit ihm und lasse dann, nach einem sanften Klaps mit meinen Händen auf seiner Brust, von ihm ab, um mich in Bewegung zu setzen. Ich gehe natürlich voran, denn Tristan kennt sich in dem Haus nicht aus. "Also hier unten sind das Wohnzimmer, das Esszimmer, die Küche und das Büro meines Vaters. Wohnzimmer und Esszimmer kennst du bereits. Das Büro zeige ich dir nicht, denn es ist das meines Vaters und wenn, muss er dir das zeigen.", erkläre ich, während ich durch den Flur gehe und die Treppe nach oben ansteuere. "Die Küche zeige ich dir, wenn meine Mutter darin nicht mehr zaubert.", lache ich leise. Ich greife mit meiner Hand nach dem Treppengeländer und gehe eine schwungvolle Kurve, um dann die Treppenstufen hinauf zu gehen. "Also zeige ich dir oben." Ich werfe ihm einen Blick über meine Schulter hinweg zu und zwinkere. "Dort sind das Schlafzimmer meiner Eltern, was ich dir lieber auch nicht zeige, das Gästezimmer in welchem zeitweise meine Cousine gelebt hat, noch ein Gästezimmer, mein Zimmer und zwei Bäder. Oh, ich habe vergessen, dass unten noch ein Gäste-WC ist. Zeige ich dir, wenn wir wieder unten sind."
Wir sehen uns beide an und atmen. Sie ist auch aufgeregt, oder? Mia hat mir erzählt, dass sie sehr lange keinen Mann mit zu ihren Eltern gebracht hat und ich bin mir ziemlich sicher, dass der letzte Mann Steven war. Es beruhigt mich sehr, dass sie mir sagt, dass alles gut ist. Sie wäre ehrlich und würde mir sagen, wenn es anders wäre. "Ich mag deine Eltern." Sie machen das nämlich auch ziemlich großartig. Sie geben mir das Gefühl willkommen zu sein und machen es mir damit leichter. Außerdem habe ich überhaupt nicht das Gefühl, dass sie Mias und meinen Altersunterschied irgendwie komisch oder nicht gut finden. Tatsächlich haben die Menschen, die uns nahe stehen, überhaupt kein Problem damit. Es sind eher andere Menschen, die manchmal komisch gucken. Doch es hätte natürlich sein können, dass Mias Eltern das nicht gut finden. Ein junger Mann, der sich eine ältere Frau sucht - auch in diese Richtung gibt es einige Vorurteile. "Deine Mutter zaubert wirklich in der Küche. Das Essen war großartig!" Und ich bin mir sicher, dass der Nachtisch es auch sein wird. Ich folge Mia in die obere Etage und sehe mich dabei um. Natürlich lassen wir die privaten Räume ihrer Eltern aus - was vollkommen verständlich ist. Das macht man einfach nicht. "Bitte zuerst dein Zimmer. Die anderen können wir uns gern danach ansehen." Mir ist die Info nicht entgangen, dass Mias Cousine anscheinend hier gewohnt hat. Vielleicht nachdem deren Mutter weggezogen ist? Ich frage nicht weiter nach. Das Thema geht Mia immer sehr nah und ich möchte sie zu nichts drängen. Außerdem ist es ein guter Tag. Da soll die Stimmung nicht gedrückt werden.
Als wir oben ankommen, gehe ich direkt nach links. Man sieht, dass es auch nach rechts geht, aber dort ist das Schlafzimmer meiner Eltern, ihr Badezimmer und eines der Gästezimmer - was ich ihm auch erkläre. "Bist du bereit?" Ich bin vor der zweiten Tür stehen geblieben und habe mich zu ihm umgedreht. Die Tür in meinem Rücken kommt mir auf einmal sehr groß vor, weil sie in eine ganze andere Welt führt und zu einem ganz anderen Leben. Ich muss leise lachen - etwas unsicher. Er kennt mich gut genug, um das herauszuhören. "Nicht erschrecken. Es sieht dort anders aus als in dem Rest des Hauses." Ich senke meine Stimme etwas. "Meine Mutter hat es gehasst. Das sie es so gelassen hat, wundert mich immer wieder." Der Rest des Hauses ist sehr hell, sehr weiß und voller Pastellfarben. Es ist sehr freundlich und warm - zumindest empfinde ich es immer so. Mein altes Zimmer ist jedoch recht - wie soll ich es beschreiben? Es gibt eine schwarze Wand hinter dem Bett und dunkle, lilafarbene Vorhänge. Überall hängen Poster von Bands, die er vermutlich nicht einmal kennt. An den Schränken kleben Aufkleber von noch mehr Bands und Clubs. Der Spiegel an meinem alten Schminktisch ist bis heute umrahmt von Fotos und Konzertkarten und anderen Andenken. Es ist wohl eines dieser typischen Zimmer, die man von rebellischen Teenagern so kennt. Ich atme noch einmal tief durch und drehe mich dann um. Ich öffne die Tür, schubse sie sanft an, damit sie aufschwingt und gehe hinein, damit er mir folgen kann. Ich kenne dieses Zimmer. Ich war auch letztens erst hier drin, also es ist nicht so als würde ich selbst eine Zeitreise unternehmen, sondern ist es vielmehr die Tatsache, dass er hier etwas aus meiner Vergangenheit kennenlernt, welche mich aufgeregt sein lässt. "Ja, also..." Ich bleiben mitten in dem großen Raum stehen. "...das ist mein Zimmer gewesen." Wie er es wohl sieht? Ich beobachte ihn dabei, wie er umhergeht und sich Zeit dazu nimmt sich alles anzusehen. Als er an einem Poster von Aerosmith stehen bleibt und von diesem zu mir sieht, lache ich leise. "Die waren schon alt als ich noch jung war. Was soll ich dir erzählen?"
Damit habe ich nicht gerechnt. Absolut nicht. Mia liebt alles was weiß ist. Nicht jeden Weiß-Ton, aber weiß. Dieses Zimmer ist das totale Gegenteil. Sie, und auch Brenda, haben mir erzählt, dass sie sich sehr geändert hat, nachdem sie aus Miami zurück ist und natürlich ist sie auch kein Teenager mehr. Dennoch ist dieses Zimmer das komplette Gegenteil zu ihrer jetzigen Wohnung. Ich gehe in dem Raum umher und schaue mich um. Vor einem Poster bleibe ich stehen und sehe zu ihr. Dann muss ich lachen. "Sie machen tolle Musik. Ich liebe Dream on." Leise lache ich weiter und schaue mir dann die Fotos an. Ich erkenne tatsächlich Brenda, was mich schmunzeln lässt. "Darf ich Brenda auf diese Strähnchen ansprechen?" Mir ist bewusst, dass das modern war, doch man sollte nicht jeden Trend mitmachen. "Erzähl mir von der Mia, die hier gelebt hat." Ich sehe Mia nicht an, sondern schaue mir weiter das Zimmer an, ohne etwas zu berühren. Es ist spannend. Ich finde es auch spannend, dass ihre Mutter alles so gelassen hat. Ich hatte nicht mal die Tür hinter mir geschlossen, da waren schon Menschen da, die mein altes Zimmer umdekoriert haben. Aber meine Mutter ist auch nicht wie Mias Mutter.
"Uhhhh!", gebe ich begeistert von mir. "Dream on ist gut. Crazy liebe ich aber bis heute am meisten. Obwohl Crying auch sehr gut war." Ich muss lachen. "Überraschung? Nein, ich denke nicht. Zumindest nicht, wo wir in diesem Zimmer stehen, oder?" Meine Augenbrauen wackeln einmal auf und ab. Er geht ein paar Schritte weiter, bleibt vor dem Spiegel stehen und beugt sich etwas vor, um sich die Fotos genauer anzusehen. Ich streiche mit meiner Zungenspitze einmal über meine Lippen und rolle diese dann überienander. "Was?" Ich muss ein paar Schritte gehen, um selbst zu sehen, welches Foto er da anspricht. Wieder muss ich lachen. "Tu dir keinen Zwang an. Wir schämen uns bis heute nicht für diese Strähnen." Ich deute auf ein Foto etwas weiter oben, auf dem man mich, Brenda, Donna und Ted, einen damaligen Freund, sieht. "Oh ja, wir waren heiß, Baby." Ich gehe wieder zwei Schritte zurück, um ihm mehr Platz zu lassen und beobachte ihn weiter dabei, wie er die jüngere Mia kennenlernt. "Die Mia, die hier gelebt hat?" Ich räuspere mich leise und es klingt ein bisschen amüsiert. "Diese Mia hat sich immer aus dem Fenster herausgeschlichen. Früher ging das noch, weil dort ein Baum stand, der schon vor ein paar Jahren gefällt wurde. Hätten sie das mal früher gemacht, dann hätte ich nicht die ganzen Nächte in irgendwelchen Clubs, Bars oder auf Konzerten durchgemacht." Ich streiche mir mein Haar zurück. "Meine Eltern wussten es. Sie haben immer gehofft, dass ich wiederkomme und das bin ich. Zumindest bis..." Meine Stirn legt sich in Falten. "Das letzte Mal als ich gegangen bin, also damals, bin ich allerdings durch die Tür und habe sie dabei sehr laut geknallt. Ich glaube, sie haben dennoch gehofft, dass ich wiederkomme und haben das Zimmer deshalb so gelassen." Ich atmet einmal tief durch. "Ich bin wiedergekommen. Es hat nur gedauert." Ich schlucke und beginne mich selbst in dem Zimmer umzusehen. "Aber ich bin nie wieder hier eingezogen." Es dauert einige Sekunden bis ich weiter rede. Vielleicht sogar ein, zwei Minuten. "Wie du siehst, hat die frühere Mia Musik geliebt. Ihre Freunde." Ich muss leise lachen. "Unordnung! Auch wenn es jetzt nicht danach aussieht. Meine Mutter muss irgendwann aufgeräumt haben, denn normalerweise lagen hier auf dem Boden immer schichtenweise Anziehsachen und Schuhe. Taschen." Ich setze mich in Bewegung und gehe zum Bett. "Warte mal..." Ich gehe in die Hocke und schlage die graue Tagesdecke zurück, die über dem Bett liegt, denn so kann ich darunter schauen. "Sie hat nicht gut genug aufgeräumt.", lache ich leise, während ich eine Schuhschachtel unter dem Bett hervorziehe. Mit der Schachtel in der Hand, setze ich mich auf das Bett. Ich sehe zu ihm und dann wieder zu der Schachtel, die ich dann öffne. Ich muss nur noch mehr lachen. Ein falscher Ausweis, Feuerzeuge, sogar noch eine Schachtel Zigaretten und Süßigkeiten, die schon lange nicht mehr gut sein dürften. "Darf ich vorstellen?" Ich halte ihm den Ausweis hin. "Lisa." Nichts stimmt, lediglich das Foto. Es zeigt mir wesentlich jünger und mit längeren, zerzausten Haaren.
Ich habe meinen Blick noch über ein paar Fotos wandern lassen, mich dann aber der Gegenwarts-Mia zugewandt und sehe sie an, während sie mir berichtet wie die Teenager-Mia war. "Es ist so ein krasser Kontrast zu der Mia, die ich kenne." Ich schmunzel etwas und gehe dann zu ihr, um mich neben ihr aufs Bett zu setzen. Mein Blick wandert über die Gegenstände in der Schachtel und ich schüttel grinsend meinen Kopf. "Unartige Mädchen." Wieder muss ich lachen und lehne mich etwas zurück und stütze mich mit meinen Händen vom Bett ab. "Lisa? Freut mich!" Wieder schüttel ich meinen Kopf - immer noch grinsend. "Ich denke Teenager-Tristan und Teenager-Mia hätten eine Menge Spaß miteinander gehabt. Zwar hatte ich keinen gefälschten Ausweis und habe mich auch nicht raugeschlichen, aber ansonsten sehr ähnliche Sachen getan." Leicht hebe ich meine Schultern. "Ich bin einfach durch die Tür gegangen. Es hat mich nicht interessiert, ob mein Vater oder meine Mutter es mir verboten haben." Mein Blick wandert immer noch durch den Raum und landet wieder bei Mia. "Ich liebe es, dass du so ein kontrollierter Mensch, so ruhig und so bedacht. Aber ich mag es, wenn ab und an die alte Mia durchbricht." Wieder muss ich lachen. "Was meistens passiert, wenn ich zu kontrolliert, ruhig oder bedacht bin." Sie durchbricht ihre Komfort-Zone, um mich aus meiner rauszuholen. Das weiß ich durchaus zu schätzen. "Wir haben es unseren Eltern wirklich nicht leicht gemacht, was?" Ich richte mich wieder auf und gehe zurück zu dem Spiegel. "Und du warst tatsächlich damals schon heiß. Ich hätte dich sicher angesprochen." Wieder drehe ich mich zu ihr und grinse. "Was ich auch habe... in Miami." Sie war damals nicht mehr die wilde Mia. Dennoch hat sie sich auf diese Nacht mit mir eingelassen. Obwohl ich so viel jünger war, obwohl wir beide betrunken waren. "Damals in Miami waren wir noch nicht bereit füreinander. Jetzt scheint es der richtige Zeitpunkt und der richtige Ort gewesen zu sein."
Ich verstaue die Kiste wieder unter dem Bett und streiche auch, weil ich nun mal nicht mehr derart unordentlich bin, die Tagesdecke wieder zurecht. "Das hast du.", schmunzle ich, während ich mich wieder aufrichte und hinstelle. Ich muss mich drehen, um wieder zu ihm sehen zu können und mache das auch. "Ja... es scheint so." Mein Kopf neigt sich ein Stückchen zur Seite und ich mustere den Mann, der da in meinem Zimmer von früher steht und so gar nicht hier hereinpasst. Er hat gewiss recht und wir hätten uns als Teenager gut verstanden, aber genauso wenig wie ich, passt er nun hier herein. Er hatte noch nicht so viel Zeit seine Teenager-Zeit hinter sich zu lassen, wie ich, aber er ist dabei und den Mann, der er ist und der er werden könnte, liebe ich sehr. "Komm. Wir gehen wieder runter. Meine Mutter ist bestimmt schon gespannt darauf, dass du ihren Nachtisch kostest." Ich setze mich in Bewegung, doch halte an der Tür nochmal inne. "Oben links müsste ein Foto am Spiegel kleben. Brenda mit einer Mütze, die ihr überhaupt nicht stand, die sie aber immer getragen hat. Sie hat fast alle Beweise für diese Zeit vernichtet. Mach ein Foto von dem Foto und schicke es ihr. Damit hast du sie ewig in der Hand." Ich lache und es klingt ein bisschen böse.
Mein Blick geht von Mia direkt wieder zu den Fotos und ich entdecke es. "Das ist Brenda?" Ich hätte sie nicht erkannt. Natürlich hole ich mein Handy heraus und mache direkt ein Foto von dem Bild. Das werde ich ihr nachher schicken und ihre Reaktion in vollen Zügen genießen. "Warte kurz." Mia wollte schon wieder raus aus ihrem Zimmer, doch nun bleibt sie in der Tür stehen und sieht mich an. Ich gehe zu ihr und lege meine rechte Hand in ihr Kinn und beuge mich zu ihr hinunter, um sie zu küssen. Meine andere Hand legt sich an ihre Hüfte und mein Körper schmiegt sich eng an ihren, während ich sie weiter küsse und gegen den Türrahmen drücke. Nur langsam löse ich mich von ihr, gebe ihr noch einen kleinen Kuss und öffne dann meinen Augen wieder, um in ihre zu sehen. "Ich liebe dich, Mia." Nur langsam löse ich mich von ihr und verlasse vor ihr das Zimmer. Nachdem sie die Tür geschlossen hat, ergreife ich ihre Hand und wir gehen zurück zu ihren Eltern.
Meine Lippen ziert ein Lächeln als er sich von mir löst. Nicht nur sie kribbeln, sondern mein gesamter Körper. Mir ist warm und wohlig zumute, wie fast immer, wenn er mich küsst. Ich spüre noch, wo seine Finger mein Kinn berührt haben und wie sich sein Körper an den meinen geschmiegt hat, als er sich bereits wieder von mir gelöst hat. Ich liebe dich, Mia. Er hat keine Antwort darauf von mir bekommen, aber seine Worte haben mich sehr glücklich gemacht - machen es mich noch. Wären meine Eltern nicht unten beziehungsweise wären wir nicht in ihrem Haus, dann würde ich ihm zeigen wie glücklich. Doch so schließe ich die Tür hinter uns, nicht ohne noch einen letzten, sentimentalen Blick hineinzuwerfen, und dann gehen wir gemeinsam wieder hinunter. Meine Finger drücken sanft die seinen kurz bevor wir am Esszimmer sind und ich seine Hand wieder freigebe. Tristan? Komm doch kurz in die Küche. hören wir beide meine Mutter und tauschen einen fragenden Blick. Folgen wir dann ihrer Stimme in eben diesen Raum, den er ohnehin noch nicht kennt? Natürlich. Wie gefällt dir das Haus? Oh, wenn sie wüsste, dass er davon gar nicht so viel gesehen hat. Ich sehe ihn von der Seite an und lausche seinen sehr freundlichen Worten in denen er geschickt erklärt, dass ihm sehr gefällt was er davon bisher gesehen hat. Wollte er auch noch etwas zu meinem Zimmer sagen? Ich bin mir nicht sicher, doch meine Mutter zeigt ihm warum sie ihn hereingebeten hat. Das muss ich dir unbedingt noch zeigen, sonst wäre eine Tour durch das Haus nicht komplett. erklärt sie freudestrahlend und als ich sehe, dass sie zu der Tür geht, die zur Abstellkammer der Küche führt, weiß ich schon was sie ihm zeigen möchte. Er folgt ihr und als er bei ihr ist, erklärt sie: Hier haben wir festgehalten, wie sie groß geworden ist. An dem Türrahmen sind Markierungen mit kleine Schildchen, auf denen das jeweilige Datum steht. Meine Mutter wäre es nie in den Sinn gekommen das Holz zu beschädigen, indem sie mit einem Stift oder gar mit Kerben mein Wachstum festgehalten hätte. Es sieht schön aus, dass weiß ich. Früher fand ich das albern, aber heute freue ich mich über all diese Kleinigkeiten, mit welchen meine Eltern mein Leben bis zu einem bestimmten Alter festgehalten haben. Was ich früher nicht erkannt habe? Das es ein Ausdruck ihrer Liebe zu mir war und ist.
"Es ist ein wirklich schönes Haus. Mein erster Eindruck wurde nur bestätigt." Immerhin habe ich die Flure gesehen. Als Mias Mutter meint, dass sie mir noch etwas zeigen muss, geht mein Blick kurz fragend zu Mia, die lächelt. Sie weiß also was ihre Mutter mir zeigen will. Daher folge ich dieser zu der Stelle, die sie mir dann zeigt. "Wie toll." Das erste Mal berühre ich etwas und streiche ganz leicht über das letzte Schildchen, das am Höchsten hängt. Vom Datum her muss es von der Mia stammen, von der mir eben berichtet wurde und wahrscheinlich passt die Größe immer noch ungefähr. Ich gehe sogar in die Hocke, um die unteren Schilder zu lesen. Hier ist Mia gewachsen. Mir wird ganz warm ums Herz. Das ist so eine liebevolle Sache. "Das ist wirklich wunderschön, Miss Pierce." Ich richte mich wieder auf und lasse meinen Blick nochmal über die Schildchen wandern, bevor ich wieder zu Mia sehe und sie anlächle. Wahrscheinlich fand sie es ab einem gewissen Alter gar nicht mehr cool sich messen zu lassen, doch jetzt scheint sie es auch zu mögen. Sie lächelt immernoch. In dieser Familie steckt sehr viel Liebe und das spürt man an allen Ecken und Kanten: dass die Schilder noch dort sind und überhaupt existieren, dass Mias Zimmer noch genauso aussieht wie sie es verlassen hat, hier und da stehen und hängen Bilder. Es ist ein Zuhause. Und auch wenn Mia das vielleicht früher nicht zu schätzen wusste - wie viele Teenager - tut sie das jetzt. "Kann ich ihnen noch irgendwie helfen?" Ich weiß nicht, ob schon alles im Esszimmer ist, doch wenn nicht, dann kann ich auf jeden Fall etwas tragen. "Und danke, dass Sie mir das gezeigt haben."
Sehr gerne. Ich bemerke ein kurzes Zögern meiner Mutter und ohne, dass ich das absichtlich tun würde, kneifen sich meine Augen ein wenig zusammen, weil ich mich frage, warum. Sie hat ihm diese Erinnerung gezeigt, überlegt sie gerade ihm noch mehr Erinnerungen zu zeigen? Zum Beispiel in Form von Fotos? Ich habe vorhin noch zu Tristan gesagt, dass sie das nicht ohne mein Einverständnis tun würde. Wenn du so lieb wärst, eure beiden Gläser mitzunehmen? Ich habe sie aufgefüllt. Sie scheint sich gegen das, was auch immer sie hat zögern lassen, entschieden zu haben und ich setze mich in Bewegung, um ins Esszimmer hinüber zu gehen - man kann das auch direkt durch eine Tür und muss nicht erst wieder in den Flur gehen. Der Rest steht schon bereit. Ich habe "den Rest" bereits entdeckt, weil ich den beiden voran gegangen bin. Apfelkuchen. Natürlich. Ich muss lächeln. Ich hatte ihr erzählt, wie sehr Tristan den aus dem Vanilla mag. Allerdings ist dieser Apfelkuchen ohne Streusel. Sie macht ihn immer so und ich mag ihn sehr - ich hoffe, er auch. Da seid ihr wieder. "Hast du hier die ganze Zeit auf uns gewartet?", frage ich belustigt, während ich mich wieder auf meinen Platz setze. Die Tür war auf. Wir haben uns natürlich unterhalten. So ist es. Mein Vater nickt und ich kann mir schon vorstellen, dass meine Mutter geredet und mein Vater zugehört hat. Ich versuche ein Schmunzeln zu unterdrücken. "Mein Vater ist die reinste Plaudertasche, musst du wissen.", sage ich zu Tristan und es dauert keine zwei Sekunden bis sowohl meine Eltern als auch ich lachen müssen.
"Natürlich." Ich nehme die beiden Gläser und folge Mia und ihrer Mutter zurück ins Esszimmer, in dem Mias Vater auf uns wartet. Ich stelle unsere Gläser und muss etwas grinsen, als ich sehe, dass es Apfelkuchen gibt. Ihre Mutter macht mich noch wahnsinnig. Bin ich nicht hier um mich gut zu verkaufen und nicht andersherum? Es gibt mein liebstes Essen und mein allerliebstes Essen überhaupt. Mein Blick geht zu Mias Mutter, die mich auch ansieht und ich lächle - ganz unverkrampft, sehr ehrlich. Es freut mich wirklich, dass sie das alles für mich gemacht hat. Sie lächelt auch das alles hat nur wenige Sekunden gedauert und sowohl ich als auch Mias Mutter sind bei den anderen beiden. Als die drei lachen, grinse ich leicht und sehe kurz zu Mias Vater. Man hat vorhin gemerkt, dass er sich Mühe gegeben hat mit mir zu sprechen. Ich finde es eh wichtiger mit Menschen schweigen zu können. "Wer ist bei uns die Plaudertasche?" Wir setzen uns wieder und die Frage richtet sich an Mia. Wir können uns stundenlang unterhalten, ohne das einer mehr spricht als der andere. Wir können auch stundenlang miteinander schweigen. Wenn wir lesen oder ich Klavier spiele, dann sprechen wir wirklich sehr lange nicht miteinander. "Wir sind beide keine, oder?" Ich grinse wieder und dann geht mein Blick zum Apfelkuchen. Zum Glück habe ich nicht noch einmal Nachschlag beim Essen genommen. "Der sieht großartig aus!" Ich steh wirklich auf Apfelkuchen und versuche gerade nicht zu begeistert zu sein. "Ich vermute, dass Sie die Info bekommen haben, dass ich ihn gern esse?" Was die Untertreibung des Jahrhunderts ist. Nur Mia steht noch vor Apfelkuchen - okay und Lilly. Aber ich würde sogar Lizzy für ein Stück verkaufen, wenn es sein müsste.
"Wir sind beide keine.", stimme ich ihm schmunzelnd zu. Wir unterhalten uns durchaus sehr viel miteinander, aber dabei sprechen wir wohl beide zu mehr oder weniger gleichen Teilen - je nach Thema. Wir schweigen auch sehr viel miteinander. Wir können es, was mir sehr wichtig ist. Wir genießen die Zeit, die wir miteinander haben auf die eine oder andere Weise. Sagen wir es mal so... erklärt meine Mutter. ...ich habe Fragen gestellt und Antworten erhalten. Jedoch wäre das bei dem Nachtisch nicht nötig gewesen. Das wusste ich bereits. Ich schaue von meinem Stück Kuchen, zu meiner Mutter und dann zu Tristan. Mia erzählt recht viel von dir. Für ihre Verhältnisse, meine ich. Schon wandert mein Blick zurück zu meinem Kuchenstück und ich beginne zu essen. "Er ist sehr lecker, Mom.", lobe ich direkt den ersten Bissen. Man sagt doch immer, dass man einen guten ersten Eindruck machen möchte. Sollte das bei dir ebenfalls der Fall gewesen sein, kann ich dir versichern, dass du diesen bereits gemacht hast. Durch die Erzählungen meiner Tochter. Noch immer in sehr liebevollem Tonfall ergänzt sie: Der zweite Eindruck heute ist auch sehr gut. Ich blicke auf und meine Mom an. Es ist sehr lieb von ihr, dass sie das sagt. Sie meint es so, sonst hätte sie es nicht ausgesprochen. Mein Blick sagt wohl so viel wie Danke! als sich unsere Blicke treffen und sie lächelt.
Mein Blick geht zu Mia und ich kann nicht anders als lächeln. Sie hat von mir erzählt. Sogar so einen Kleinigkeit, dass ich Apfelkuchen liebe. Doch Mias Mutter ist noch nicht fertig und spricht weiter. Sie hat wieder meinen volle Aufmerksamkeit und ich nicke leicht. "Ich wollte auf jeden Fall einen guten Eindruck hinterlassen." Ich spreche vielleicht etwas leiser. Keine Ahnung, ob Mias Eltern das überhaupt mitbekommen, doch in dem Moment weiß ich nicht so recht was ich sagen soll. Es bedeutet mir sehr viel, dass ich einen guten Eindruck gemacht habe - erst durch Mia und dann auch direkt bei ihren Eltern. Genau das wollte ich. Natürlich hätte es sein können, dass wir uns nicht verstehen oder so. Aber ich wollte, dass die beiden wissen, dass ich gut bin zu ihrer Tochter, dass ich sie liebe und dass ich nicht so bin wie ihr Ex. Natürlich kennen sie mich jetzt auch noch nicht, doch sie kennen Mia und ich hoffe, dass sie wissen, dass Mia sich nicht mehr auf einen Mann einlassen würde, der ihr nicht gut tut. Auch wenn ich bei Weitem nicht frei von Fehlern bin, und ich habe viele, will ich, dass Mia glücklich ist und ich liebe sie. Ich liebe so sehr. Auch ich koste den Apfelkuchen und kann Mia nur zustimmen. "Der ist großartig!" Da ist wieder die Begeisterung ich reiße mich zusammen nicht zu schnell zu essen. Dieses Mal nehme ich noch einen Nachschlag in Form eines zweiten Stückes. Mein Knie berührt leicht Mias und das beruhigt mich direkt und lässt mich diesen Moment noch etwas mehr genießen. Es war ein guter Tag. Nicht nur ich habe das so empfunden, auch Mia und anscheinend auch ihre Eltern. Das macht mich glücklich. Das macht mich sehr glücklich.
"Mom! Wie sollen wir das alles essen? Das ist zu viel des Guten." Natürlich hat sie uns nicht nur die Reste des Mittagsessens eingepackt, sondern auch noch die Stücke Apfelkuchen, die übrig geblieben sind. Zugegeben sind es keine zehn Stücke, weil sowohl Tristan als auch mein Vater sich ein zweites Stück gegönnt haben, aber dennoch. Ihr schafft das schon. Sie lässt es nicht zu, dass ich ihr etwas zurückgebe. Wir stehen alle vier im Flur vor der Haustür, nachdem wir noch gemütlilch den Kuchen gegessen und uns einige Zeit unterhalten haben, und waren eigentlich auch schon dabei uns zu verabschieden als meine Mutter die Papiertüte eingefallen ist, die sie für uns gepackt hatte und die noch in der Küche stand. Nun halte ich diese in der Hand. Ich seufze schwer. "Danke, Mom." Ich drücke sie zum Abschied und flüstere dann noch einmal, aber dieses Mal leise in ihr Ohr. "Danke." Sie weiß, dass mein erster Dank dem Essen galt und der zweite Dank der heutigen Zeit hier bei ihr. Nicht dafür, Liebling. Mein Vater und Tristan haben sich bereits die Hand gegeben, sodass er und ich einfach wechseln - ich verabschiede mich noch von meinem Vater und er sich von meiner Mutter. Es war schön dich kennenzulernen, Tristan. Ja, es war sehr schön. Ich hoffe, wir sehen uns bald wieder. Ich nicke lächelnd. "Ganz bestimmt. Ihr kommt doch zur Eröffnung des Ruby's oder? Und wenn das Haus fertig ist beziehungsweise unsere Wohnung darin, dann müsst ihr uns mal besuchen kommen." Bekomme ich dann auch die Musikwohnung gezeigt? Tristan und mein Vater tauschen Blicke aus und Tristan erklärt, dass er ihm dann natürlich alles zeigt worüber sie geredet haben. Wann haben sie sich denn darüber unterhalten? Das muss ich ihn später mal fragen. "Bye, Mom. Bye, Dad." Wir verlassen das Haus und meine Eltern bleiben noch in der Tür stehen, um uns zu winken bis wir außer Sicht sind. Was ich nicht mehr höre, ist, wie meine Mutter meinem Vater zuflüstert. Wenn sie wüsste, dass ich ihnen auch noch Kekse in die Tüte gepackt habe.