"Guck mal." Ich deute oben auf die große Tafel mit der Auswahl an Sandwiches. Es gibt hinter manchen Sandwiches ein kleines Zeichen, was dafür steht, dass sie vegan sind. Tatsächlich habe ich mich vor einiger Zeit darüber informiert, als klar war, dass wir nach Europa fliegen würden, inwiefern vegane Speisen und Getränke, aber auch Kleidung, Kosmetik und alles gekennzeichnet wird. Ob es überhauot gekennzeichnet wird. Ich schaue zwischen der Tafel und ihm hin und her, wobei ich hinauf schauen muss, um sein Gesicht zu sehen, weil wir sehr nah beieinander stehen. Meine Schulter und ein Teil meines Rückens schmiegen sich an seine Brust und Seite. Er achtet immer darauf, dass ich in solchen Situationen vor ihm und nicht hinter ihm stehe, damit er mir die Sicht nicht verdeckt. Er ist auch bei solchen unscheinbaren Winzigkeiten immer so aufmerksam. Seine eine Hand ruht auf meiner Seite und nun blickt auch er mich an nachdem er geguckt hat worauf ich gedeutet habe. "Wärst du so lieb mir zu erklären, womit sie belegt sind? Ich erkenne nicht alle Zutaten." Natürlich tut er das sehr freundlich und danach bin ich zwischen zweien hingerissen. Bevor ich mich entscheide, frage ich ihn: "Hast du schon eines ins Auge gefasst?" Denn sollte er sich für eines der beiden entscheiden, zwischen denen ich hin und her gerissen bin, könnten wir vielleicht noch das andere nehmen und sie uns zum Probieren teilen, wenn er Lust hat. Nachdem wir uns tatsächlich dafür entschieden und uns auch noch Säfte ausgesucht haben, warten wir. Ich habe mich ihm nun ein wenig mehr zugewandt, habe mich mehr zu ihm gedreht und meine Hand auf seine Brust gelegt. Mein Blick ist lächelnd zu ihm hinauf gerichtet. "Sollen wir vielleicht auf dem Balkon essen, wenn es noch nicht zu frisch ist?" Den Sonnenuntergang werden wir nicht mehr schaffen, aber wenn es so ist, wie ich es mir vorstelle, wird man nicht nur die Sterne als Lichter am Himmel sehen, sondern auch wundervoll die Lichter der Stadt.
Ich stehe nicht nur hinter ihr, damit sie freie Sicht hat. Ich habe es einfach lieger, wenn sie vor mir steht und ich sie sehen kann. Es ist befriedigt meinen Beschützerinstinkt ihr gegenüber und außerdem kann ich ihr nah sein und allen zeigen: Meine! Ich hatte anfangs wirklich kein Problem damit, dass wir in der Öffentlichkeit nicht als Paar agiert haben. Doch seitdem wir uns dafür entschieden haben, nutze ich dies richtig aus. Es kommt nur selten vor, dass wir uns nicht an den Händen halten oder uns nicht berühren und ich mag das sehr. Wir bezahlen und Mia nimmt die Papiertüte vom Tresen und bedankt sich in ihrem wundervollen Französisch. Wir verlassen den Laden und machen uns - mit einem kleinen Umweg - auf den Rückweg. "Sollte es zu kalt werden, dann ziehen wir uns etwas an. Notfalls gibt es auch Decken." Wir halten uns wieder an den Händen und ich sehe lächelnd zu ihr. Sie trägt das Essen, weil sie es gern wollte und ich lasse sie. "Guck, wenn du hier die Straße entlang schaust siehst du den Turm." Da ich stehengeblieben bin, ist sie es auch und nun folgt sie meinem Finger, der die Straße entlang zeigt. Mittlerweile ist der Turm sogar beleuchtet. Wir genießen noch ein bisschen das Bild, das sich uns liefert und gehen dann wieder Heim. Mia schließt auf und während sie sich darum kümmert die Sandwiches auf Teller zu legen - ich habe ihr verraten wo sie diese findet - lege ich schon einmal Decken nach draußen, falls wir diese brauchen. Auch die beiden Säfte und Gläser habe ich dabei, weil wir natürlich beide von beiden Säften kosten wollen. Auch die Sandwiches wollen wir uns teilen und als Mia mit diesen herauskommt, hat jeder zwei Häften auf seinem Teller. Wir setzen uns und ich sehe wieder sie an, während ihr Blick über die Dächer von Paris wandert. "Du siehst so glücklich aus. Anders glücklich als sonst." Sie sieht zu mir und ich schmunzel etwas. "Es macht mich so glücklich, dass du glücklich bist."
"Das bin ich auch." Ich fühle mich nicht schlecht dabei das zu sagen, denn nur weil ich hier anders glücklich bin, heißt das nicht, dass ich in unserem Alltag weniger oder gar nicht glücklich bin. Es ist einfach anders und ich kenne ihn inzwischen gut genug, dass ich mir sicher bin das er das versteht. Dieses Gefühl sich sicher sein zu können, dass ein anderer Mensch einen versteht oder wenn nicht, es auf jeden Fall versucht, ist unbeschreiblich. Ich strecke meine Hand nach der seinen aus, die auf dem Tisch liegt und drücke diese für einen kurzen Moment sanft. Wir werden uns jetzt nicht an den Händen halten, weil wir essen und trinken wollen, deswegen halte ich ihn nicht davon ab und ziehe meine Hand wieder zurück. "Das kenne ich.", lache ich leise. "Ich bin auch immer noch ein kleines bisschen glücklicher, wenn ich weiß, dass du auch glücklich bist." Wir blicken uns einen Moment lang an und beugen uns dann, ohne das einer von uns den Anfang gemacht hätte, denn es passiert zeitgleich, zueinander und küssen uns. Es ist nur ein kurzer, aber sehr zärtlicher Kuss. "Bon appétit.", sage ich vergnügt nachdem wir uns wieder richtig hingesetzt haben. Ich betone das erste Wort absichtlich, weil ich finde, dass es so schön klingt und dann beginnen wir die Sandwiches zu probieren.
"Régale-toi." Ich grinse leicht und meine Zunge streicht über meine Lippen, auf denen ich sie noch schmecke. Zuerst greife ich nach dem Tomatensandwich mit Pesto und nach dem ersten Bissen hört man deutlich einen Laut des Gefallens aus meinem Mund. Ich kaue allerdings erst auf, bevor ich spreche. "Es schmeckt großartig!" Ich kannte den Laden bisher nicht und muss ihn mir unbedingt merken. Tatsächlich lege ich das Sandwich ab, um nun auch das andere zu probiere, das nicht weniger gut schmeckt. Ich könnte nicht einmal sagen welches mir besser schmeckt. "Schmeckt es dir auch?" Natürlich geht es ihr genauso wie mir. Bisher war es eigentlich immer so, dass wir beim Essen einer Meinung waren. Zwar schmeckt ihr manchmal etwas anderes am Besten als mir, aber wir haben einen sehr ähnlichen Geschmack darin, was wir lecker finden und was nicht. Das macht das gemeinsame Essen tatsächlich sehr leicht. Und so essen wir unsere Sandwiches stumm, genießen den Ausblick und trinken dabei unseren Saft. Ich bin vor ihr fertig und lehne mich etwas zurück, während auch ich meinen Blick wandern lasse. "Es ist toll wieder hier zu sein." Ich spüre, dass sie mich ansieht, doch ich schaue weiter über das Geländer des Balkons hinweg. "Ich habe hier wirklich viel Zeit verbracht. Monatelang habe ich hier gelebt, ganze Sommer. Nicht nur hier, auch bei meinen Großeltern am Meer oder bei der Tante meines Großvaters auf dem Land." Ich grinse etwas. "Sie lebt leider nicht mehr, aber ihr Haus gehört nun meiner Großmutter. Es ist eine Kleinstadt mitten im Nirgendwo. Da reisen wir das nächste Mal hin." Oh, ich werde auf jeden Fall wieder mit ihr hierherkommen. "Es fühlt sich an als wäre ich wieder Zuhause. Auch New York ist mein Zuhause, wie auch San Francisco. Doch Frankreich auch. Diese Wohnung ist ein Stück Zuhause. Hier habe ich mich nachts rausgeschlichen, um Freunde zu treffen. Hier habe ich Weihnachtsgeschenke ausgepackt und mich in Mädchen verliebt." Wieder muss ich lachen. "Hier habe ich mit Lilly gespielt oder mich von Lizzy volllabern lassen. Hier habe ich gelernt und auch Partys gefeiert." Eben alles, was man auch Zuhause irgendwie macht. Nun geht mein Blick zu ihr. "Es ist schön, dass ich dir ein Zuhause von mir zeigen kann." Wir wollen beide nach New York und wir haben wohl auch beide nicht gedacht, dass wir vorher nach Frankreich kommen. Doch so lernt sie zumindest etwas von mir kennen - von meiner Vergangenheit. Es gibt auch negative Erinnerungen an diese Wohnung, doch denen will ich gerade keinen Raum geben. Ich will mich freuen hier zu sein - mit ihr. Mit meiner Liebe.
So schön dieser Ausblick auch ist, meine volle Aufmerksamkeit richtet sich trotzdem auf den Mann, der hier bei mir sitzt, und seine Worte. Er erzählt mir davon, wie er in dieser Wohnung, in dieser Stadt, in diesem Land gelebt und war er hier erlebt hat. Meine Lippen sind zu einem Lächeln geformt, während ich ihm lausche und mir vorstelle, wie er hier Geschenke auspackt, wie er mit seiner Schwester spielt und lacht. Natürlich stelle ich mir dabei die Gesichter vor, die ich heute kenne, obwohl er von einer Zeit erzählt, in welcher ich ihn noch nicht kannte. Er hat mir mal erzählt, dass er vor der Entscheidung stand, ob er nach Frankreich ziehen soll oder nicht und dass er sich dagegen entschieden hat. Ich bin sehr froh darüber, dass er sich dagegen entschieden hat, denn sonst wären wir uns wohl nie begegnet. Dennoch muss ihm diese Entscheidung sehr schwergefallen sein. Er spricht mit solch einer Wärme in der Stimme von der Zeit in diesem Land. „Ich finde es sehr schön, dass du es mir zeigen willst.“ Ich strecke meine Hand nach ihm aus. Seine eine Hand liegt auf seinem Oberschenkel seitdem er damit fertig ist zu essen und er sich bequem hingesetzt hat. Da ich inzwischen auch fertig bin und beide Hände frei habe, kann ich mit der einen nun nach seiner greifen, um seine Finger sanft zu drücken. „Es bedeutet mir sehr viel, dass du mir zeigst, wo du dich zuhause fühlst.“ Das andere möchte er mir auch noch zeigen und in dem anderen leben wir – wenn man nun von denen ausgeht, die er gerade aufgezählt hat. „Dass du mich an deinen Erinnerungen teilhaben lässt und neue mit mir schaffen willst.“ Es hat etwas sehr Intimes so etwas zu tun. Man macht sich verletzlich. Ich will ihn niemals verletzen – nicht mit Absicht und ich hoffe, es passiert auch nicht aus Versehen. Ich blicke ihn noch einen Moment lang an und richte meinen Blick dann wieder in die Ferne – über die Dächer dieser wunderschönen, alten Bauten hinweg. „Werden wir noch viele dieser Türme von vorhin sehen? Gibt es noch sehr viele Relikte aus den Anfängen dieser Stadt? Welche, die man anschauen und vielleicht sogar besuchen kann.“ Ich meine abgesehen von den üblichen Touristenmagneten. Von denen habe ich selbst gelesen, wie er weiß. Mich interessieren gar keine Namen oder so. Die muss er nun nicht auswendig wissen. Ich bin nur neugierig darauf, ob ich noch mehr davon erwarten kann. Es hat mir gefallen, wie er mir vorhin ein bisschen was über den Turm also über seine Stadt erzählt hat.
Ich bewege meine Hand etwas, nachdem sie mit ihren Fingern die meinen gedrückt hat. Unsere Finger verschränken sich nicht miteinander, aber wir halten uns an der Hand und das fühlt sich schön an. Wir sitzen tatsächlich auf einen Balkon in Paris, halten uns an den Händen und reden miteinander. Es ist unser erster Urlaub und ich finde den ersten Tag schon perfekt. Wie soll es denn noch besser werden? Doch wenn sie mir eines bisher gelehrt hat, dass es immer einen noch besseren Tag mit ihr gemeinsam gibt, auch wenn ich es mir nie vorstellen kann. Ich nehme im Augenwinkel wahr, dass sie ihren Kopf bewegt hat und auch ihr Blick nun auf der Stadt vor uns liegt. Die Luft ist noch angenehm und wir haben die Decken bisher nicht gebraucht. Am Horizont ist es noch ein bisschen hell, doch die Lichter in der Stadt sind schon überall an. Man nimmt jetzt erst so wirklich ihre Größe wahr. Um uns herum ist es dunkel. Es ist ein kleines Licht in der Küche an, doch das erhellt den Balkon nur bedingt. Die Straßenlaternen sind unter uns und doch sorgt die Helligkeit der Stadt dafür, dass ich sie noch sehen kann, als mein Blick kurz zu ihr geht. "Ja, es gibt immer wieder Türme, Häuser, Bauten, die so alt sind, dass man sich gar nicht vorstellen kann, dass Menschen sie mit ihren Händen gebaut haben. Die Stadt ist auch sehr bemüht darum diese zu erhalten." Ich kenne nicht alle mit Namen. Eigentlich kaum etwas davon. Den Turm hier kenne ich nur, weil er direkt vor der Haustür liegt. "Wir werden noch viele davon sehen und sicherlich kann man sich einige auch ansehen." Sanft drücken meine Finger die ihren. "Es ist seltsam, dass es so etwas in den USA nicht gibt, oder? Hier stehen Gebäude, die sind älter als das Land, aus dem wir kommen. Unsere Geschichte wirkt so klein im Gegensatz zu der Europas." Das habe ich hier schon immer sehr genossen. Diese Gefühl von Geschichte. "An manchen Orten spürt man es regelrecht. Wir werden uns solche Orte ansehen. Viele!" Mein Blick geht wieder zu ihr und ich lächle. Sie wird es lieben. Es wird ihr gefallen die alten Steine zu berühren, vielleicht etwas zur Geschichte zu erfahren und diese dann auch zu spüren.
„Es ist surreal. Vollkommen surreal.“, gestehe ich leise flüsternd und geradezu andächtig. „Man muss sich das mal vorstellen. Während in unserem Land weiße Menschen noch keine Rolle gespielt haben, ist in Europa bereits so viel Geschichte von ihnen geschrieben worden. Nicht nur das! Diese Geschichte hat teilweise sogar bis heute Bestand in Schriften, Malerei, Bauten.“ Ich gebe ein leises Lachen von mir. Das sich meine Stimme gesenkt hat, hat sowohl damit zu tun, dass ich total überwältigt von dem bin, worüber wir gerade sprechen und zum anderen damit, dass die Nacht und ihre Dunkelheit uns umhüllt – diese verführt so oft dazu leiser zu sein als am Tage. „Ich kann mir das gar nicht richtig vorstellen.“ Als wir vorhin bei dem Turm waren, habe ich wie gebannt an seinen Lippen gehangen. Da steht einfach so etwas derart altes und dafür so gut erhaltenes. „Ich... Ich kann es mir nicht vorstellen und hier gehört Geschichte einfach zur Nachbarschaft.“ Ich schüttle amüsiert meinen Kopf. „Verstehe mich bitte nicht falsch. Wir haben auch unsere Geschichte. Aber sie ist im Vergleich einfach so… so jung. So anders! Zumindest teilweise anders. Und wenn wir ehrlich sind, wurden die Anfänge größtenteils von Menschen geschrieben, die aus Europa gekommen sind und hier schon welche geschrieben hatten oder von Menschen abstammten, die das gemacht haben oder oder oder.“ Ich reiße meinen Blick von den Lichtern der Stadt los, um ihn anzusehen. Unsere Blicke treffen sich und ich beginne ebenso zu lächeln wie er. „Darüber könnte ich stundenlang philosophieren.“
Sie ist total begeistert und ich liebe alles daran. Wenn sie etwas begeistert, dann sind ihre Augen etwas größer und sie gestikuliert mit ihren Händen. Das tut sie gerade nicht oder nur mit einer Hand, denn ihre andere hält die meine. Sie hat mit jedem Wort Recht. Der Umgang mit Geschichte ist hier auch ein ganz anderer, weil es so viel Geschichte gibt und so viel verschiedene. Und dann die ganzen Gebäude. Sie sind wunderschön und so etwas sieht man bei uns einfach nicht. Auch wir haben tolle und imposante Gebäude, doch das ist in Europa noch einmal etwas ganz anderes. "Du wirst von Notre Dame beeindruckt sein. Ich meine... die Kirche wurde im 14. Jahrhundert fertiggestellt. Da war an Amerika noch nicht einmal zu denken. Es hat fast zwei Jahrhunderte gedauert diese zu bauen." Ich muss etwas lachen. Wir sprechen sehr begeistert miteinander, aber trotzdem leise. "Stell dir das mal vor. Fast zweihundert Jahre. Das kann man sich heutzutage nicht einmal mehr vorstellen." Ich trinke einen Schluck von meinem Saft. "Ich bin wirklich froh, dass sie nicht abgebrannt ist. Das war... heftig. Ich dachte wirklich, dass wir dieses Gebäude verloren haben. Zum Glück konnte sie gerettet werden. Das hat mich wirklich traurig gemacht. Macht es immer noch. Ich bin gespannt wie sie aussehen wird, wenn sie fertig ist." Es war damals ein Schock die Bilder und Video zu sehen. Auch die Kirche danach zu sehen, wenn wir hier waren.
„Ich habe es damals durch Zufall mitbekommen. Es haben sich im Vanilla Menschen darüber unterhalten und haben mit ihrem Mobiltelefon ein Video geguckt. Ich bin sofort ins Büro und habe mein eigenes zur Hand genommen, um zu googlen.“ Ich nicke langsam, während ich das erzähle, so wie man das manchmal macht, wenn man sich an etwas erinnert. „Durch den Zeitunterschied habe ich es natürlich nur verzögert durchlebt, aber es hat mich so traurig gemacht. Es macht mich immer traurig, wenn so etwas passiert.“ Ich werde es ganz anders erlebt haben als er, weil er einen ganz anderen, viel intensiveren Bezug zu dieser Kirche hat. „Warst du seitdem schon mal wieder hier und hast sie gesehen?“ Es ist immerhin schon drei Jahre her. „Es ist schade, dass ich sie erst nach diesem Unglück sehe, aber ich freue mich trotzdem darauf. Heutzutage kann man so vieles wieder herstellen, restaurieren und dergleichen. Es ist nicht mehr wie früher, aber…“ Ich seufze leise. „In Europa gibt es ganze Stadtteile, sogar ganze Städte, die sie nach Kriegen wieder aufgebaut haben und immer noch wieder aufbauen.“ Mein Blick wandert immer mal wieder zwischen ihm und dem Panorama hin und her. „Es ist unglaublich was Menschenhände schaffen, aber auch zerstören können, nur um es dann wieder zu erschaffen. Wobei natürlich nicht alles durch Kriege zerstört wird. Manches geht durch die Zeit kaputt. Oder durch menschliches Versagen. Das war es doch, oder? Also was Notre Dame betrifft. Bauarbeiten oder so?“ Wieder ruht mein Blick auf ihm – dieses Mal fragend. „Manchmal habe ich bei uns das Gefühl, also in den USA, dass wir lieber abreißen und neu machen, anstatt es wieder aufzubauen, wie es war. Vielleicht liegt das unter anderem daran, dass wir ein anderes Verhältnis zur Geschichte haben. Wir sind sehr, sehr stolz auf unsere, aber es ist nun mal andere Geschichte.“
"Jean war hier im Haus, als es passierte. Man sieht Notre Dame von hier aus nicht, aber meinte, dass man die Flammen gesehen hat." Es schüttelt mich einen Moment und ich muss mich anders hinsetzen. "Ja, ein paar Mal. Wir waren ein oder zwei Monate nach dem Brand hier und sind direkt hin." Ein kleines Seufzten kommt von meinen Lippen. "Weißt du, sie war immer da. Wunderschön und imposant, aber eben immer da. Und dann war auf einmal dieses Gefühl da, sie nie wieder zu sehen." Sie drückt meine Hand und ich sehe erneut zu ihr. "Sie wird wohl ein bisschen anders sein. Was ich aber auch okay finde. Sie hat sich in den vielen hundert Jahren, die es sie gibt oft verändert. Und dieser Brand hat sie verändert. Das kann ruhig sichtbar sein." Bei ihrer Nachfrage nicke ich. "Ja, es lag wohl an Bauarbeiten. Ich glaube so zu hundert Prozent konnte das nie geklärt werden. So etwas passiert. Aber ja, du hast Recht. Es wurde sehr viel zerstört in Europa. Vor allem durch Kriege. In Deutschland sieht man das auch sehr oft." Mein Daumen beginnt leicht über ihren Handrücken zu streichen. "Ja, es ist total anders. Wir lernen auch in der Schule ganz andere Dinge. Was ja logisch ist. Aber es ist trotzdem irgendwie seltsam. Du wirst ein Gefühl für all das bekommen. Auch wenn es manchmal atemberaubend ist. Rom zum Beispiel. Das ist noch einmal etwas ganz anderes. Werden wir uns auch ansehen." Ich lächle sie an und beuge mich dann zu ihr rüber. Sie weiß was ich will und sie kommt mir entgegen, damit ich ihr einen Kuss geben kann. "Ich werde dir ganz viel von Europa zeigen und mit dir neues entdecken." Ich habe auch noch nicht alles gesehen - bei Weitem nicht. Doch wir haben noch unser ganzen Leben vor uns und können noch viel entdecken.
Dieser Mann will sich mit mir Rom ansehen. Hier und da haben wir natürlich immer mal wieder darüber gesprochen, was wir uns auf der Welt noch alles ansehen könnten, aber es gibt so Momente in denen werden aus solchen Fantastereien auf einmal greifbare Vorstellungen. Mein Herz schlägt einen Schlag schneller. Gewiss liegt es daran, dass wir gerade in Paris auf einem Balkon unter Sternen und zwischen Lichtern der Stadt sitzen, dass es sich für mich noch mehr so anfühlt als würden wir wirklich all das tun, all die Reisen machen. Immerhin sind wir hier. Wir haben die erste Reise wahrgemacht und nun fühlt es sich so an als könnten wir alle wahrmachen. Mit einem Lächeln auf meinen Lippen beuge ich mich ihm entgegen und wir küssen uns sehr liebevoll. Es ist kein langer Kuss, aber einer der meine Lippen zum Kribbeln bringt. Ich werde dir ganz viel von Europa zeigen und mit dir neues entdecken. Seine Worte bestätigen meine Gedanken von zuvor noch zusätzlich und ich mustere, nun wieder lächelnd, sein Gesicht. „Ich freue mich schon sehr darauf.“ Ich freue mich auf die kleinen und großen Reisen. Ich freue mich auf alles mit ihm. In den letzten Jahren hat es das Vanilla gegeben – fast ausschließlich. Ich habe noch Zeit für anderes gefunden, aber gewisse Träume und Wünsche, wie zum Beispiel Reisen, habe ich immer in die Zukunft verschoben, ohne diese Zukunft zeittechnisch zu benennen. Ich war damit zufrieden und auch glücklich. Mir hat mein Leben gefallen und tut es auch jetzt. Mit ihm ist jedoch, dass ein oder andere einfach anders geworden und dieses anders gefällt mir sehr. „Bist du schon müde?“
Sie holt mich so oft aus seinen Zwängen heraus, ohne mich zu zwingen. Sie nimmt meine Hand und führt mich hinaus. Das tut gut. Das merke ich immer wieder und darum will ich sie auch rausreißen - immer mal wieder, im gesunden Maße. Sie soll abschalten können und genießen. Natürlich ist das Vanilla wichtig, auch das Projekt. Ich kann das sogar nachvollziehen. Sie involviert mich schon sehr in das Projekt und es ist mir ans Herz gewachsen. Auch das Vanilla. Ich helfe ihr nicht nur, um sie zu entlasten, sondern wegen des Vanillas. Doch auch sie soll und muss mal abschalten. Sie hat Brenda und solange diese ihr das abnehmen kann, kann er mit ihr verreisen und die Welt erkunden und er nimmt es sich fest vor. Vor allem vor Beginn des Projekts werden sie nochmal richtig verreisen. Damit sie zwischen dem Vorbereitungsstress und dem Eröffnungsstress auch nochmal entspannen kann. Bei ihrer Frage geht mein Blick zu ihr und ich lächle sie an. "Müde nicht wirklich. Aber ich denke es ist eine gute Idee ins Bett zu gehen. Wir haben morgen viel los." Bei uns Zuhause ist es Nachmittag. Doch wir müssen schlafen. "Lass uns ins Bett. Wir können morgen Abend wieder hier sitzen." Und das werden wir auch. Wir werden noch einige Abende hier sitzen.
"Ich freue mich auf den nächsten Abend und den nächsten und den nächsten und bevor du genau weißt, was passiert, will ich hier gar nicht wieder weg." Ich gebe ein leises Lachen von mir und blicke mich dann noch einmal um, um mir die Aussicht anzusehen - ohne bestimmtes Ziel. Es ist dunkel geworden und trotzdem strahlt Paris einen gewissen Hauch von Magie aus. Das tut sie auch am Tage, aber eine andere. Ich könnte noch stundenlang hier sitzen, mit ihm über Gott und die Welt reden, während ich mir die Lichter anschaue und dabei seine Hand halte, aber wir brauchen den festen Rhythmus, wenn wir die ersten Tage nicht müde und antriebslos sein wollen. Also stehen wir beide gemeinsam auf und räumen die Spuren unseres sehr köstlichen Essens weg. Ich trinke noch meinen Saft aus, denn wie ich beim Aufräumen feststelle, ist noch ein Schluck drin - sogar ein großer. Da wir zusammenarbeiten und er mir hier und da hilft, weil ich noch nicht weiß, wo alles ist und hingehört, sind wir recht zügig fertig. Berühre ich ihn dabei immer mal wieder wie aus Versehen? Ja. Am Ellbogen. An seiner Seite. Mit meiner Schulter im Vorbeigehen. Wie auch er schon über sich selbst sagte, bin ich gar nicht richtig müde, aber während wir in das große Schlafzimmer gehen, merke ich wie mein Körper mir Signale gibt, die ich zu deuten weiß. "Ich spüre den Tag dann doch so ein bisschen in meinen Knochen.", gebe ich leise lachend zu als er gerade das Licht im Schlafzimmer anmacht. "Oh verdammt." Ich fluche nicht oft, aber kaum sind wir in dem Raum und das Licht ist an, bleibe ich abrupt stehen, weil ich unsere Koffer dort liegen sehe. Sie sind bereits geöffnet, weil wir uns frisch gemacht und umgezogen haben, aber sie sind noch nicht ausgepackt. Ein Teil von mir will es sofort erledigen, braucht die Ordnung, doch ein anderer Teil von mir, lässt mich zu ihm schauen und hoffen, dass er sowas sagt wie Machen wir Morgen.
"Geht mir auch so. Es war eben doch nicht ohne." Und hoffentlich hilft uns diese Erschöpfung tatsächlich auch dabei zu schlafen. Wir gehen in das Schlafzimmer und dann sehe ich ihren Blick, als sie die Koffer erblickt. Wir haben uns zwar frisch gemacht, sind dann aber direkt los und haben es uns dann gemütlich gemacht. "Wir sind im Urlaub." Ich gehe an meinen Koffer und hole ein T-Shirt von mir raus, das ich ihr gebe. Wir haben gar nicht so extrem viel mit, da wir hier waschen können und wir haben uns dafür entschieden lieber ein- oder zweimal zu waschen und dafür mehr Platz im Koffer zu haben. Für Mitbringsel, aber auch für Klamotten, falls wir etwas sehen, das uns gefällt. Tatsächlich nehme ich auch die Koffer, nachdem wir alles rausgeholt haben, was wir brauchen, und verstaue sie im Schrank. Dann liegen sie uns nicht vor den Füßen herum und wir werden nicht daran erinnert, dass wir sie nicht ausgepackt haben. Wir gehen gemeinsam ins Badezimmer und als wir da stehen - nebeneinander, jeder an seinem Waschbecken und Zähne putzen, grinse ich sie leicht durch den Spiegel an. "Ich möchte auch gern zwei Waschbecken in unserer Wohnung." Ich nehme meine Zahnbürste in die linke Hand, damit meine rechte Hand nach ihrer greifen kann. Sanft drücke ich ihre Finger und dann halten wir uns an den Händen, während wir unsere Zähne putzen. Nachdem wir fertig sind, gehen wir zum Bett. Ganz automatisch wählt jeder seine Seite. Ich habe eben noch meine Schlaftablette genommen - sicher ist sicher - und strecke mich dann auf dem Bett aus. "Verdammt fühlt sich das gut an zu liegen." Leise lache ich und dann kommt sie auch schon zu mir. Ich schließe sie fest in meine Arme, küsse sie nochmal und lächle glücklich vor mich hin. "Dors bien et fais de beaux rêves, mon amour." Unsere erste Nacht in Paris. Und tatsächlich dauert es gar nicht solange, dass ich einschlafe.
"Dors bien toi aussi, ma chérie." Ich hauche ihm noch einen kleinen Kuss auf seine Brust bevor ich dann meinen Kopf endgülitg in seine Schlafposition rücke. Mein Bein liegt wie so oft halb über ihm und meine Hand liegt auf seinem Bauch. Meine Finger streicheln ihn sehr zärtlich und irgendwann bemerke ich, dass er eingeschlafen ist. Es passiert nicht sehr häufig, dass er vor mir schläft. Inzwischen kommt es häufiger vor als am Anfang unserer Beziehung, aber in der Regel bin ich wohl diejenige, die zuerst von ihm träumt. Ich lächle vor Zufriedenheit ein bisschen, aber spüre, dass mein Körper selbst dafür zu erschöpft ist. Also gebe ich mich weiter meinen Gedanken hin. Sie kreisen ausschließlich um gutes und positives. Darum, wie wir gerade vor dem Spiegel standen, uns an den Händen gehalten und unsere Zähne geputzt haben, während wir uns im Spiegel beobachteten. Wird es immer so sein? Nein. Natürlich nicht und dessen bin ich mir bewusst, aber es wird schön sein. Die Wohnung. Ein Badezimmer mit zwei Waschbecken. Seine Zahnbürste neben der meinen. Mein Leben mit ihm. Es ist ein ganz anderes Leben als ich es bisher geführt habe - sowohl allein als auch in etwaigen Beziehungen beziehungsweise meiner Ehe. Er ist anders. Mit ihm ist es anders. Ich habe absolut keine Angst vor diesem anders. Ich freue mich darauf und ich glaube daran, dass es gut wird und dass es uns beide glücklich machen wird. Irgendwann, während ich mir Gedanken über die Farben unserer Handtücher mache, schlafe ich ein.