Entgeht mir sein geflüstertes Danke? Nein. Der Klang seiner Stimme bricht mir das Herz. Es tut ohnehin immer noch weh von den festen Schlägen die es macht seitdem er mir die Nachricht geschickt hat. Aber ich habe auch seine Blicke hin zu den Drogen gesehen. Sie liegen noch hier. Seine beste Freundin hat mir nicht gesagt was ich damit machen soll, aber ich habe auch nicht gefragt. Ich bin mir auch so der Tatsache bewusst was damit geschehen muss. Ich streiche mir noch einmal durch mein Haar - dieses Mal mit beiden Händen. Warum auch immer es mir just in dieser Sekunde auffällt, aber ich höre wie meine Ohrringe klimpern weil meine Haare sie berühren. "Tristan?" Meine Stimme klingt nicht mehr so hart, nicht mehr so streng. Mein Blick sucht den seinen und als sie sich treffen, schlägt mein Herz sogar noch energischer. Am liebsten würde ich zu ihm hingehen und ihn direkt wieder in meine Arme ziehen. Aber das kann ich nicht machen. Ich will es, aber ich darf nicht. Ich muss funktionieren. "Darf ich die Drogen entsorgen?" Wenn er jetzt nein sagt, wird er erleben wie ich bin, wenn ich ausraste. Wenn er ja sagt, werde ich mich darum kümmern und wir können Zeit miteinander verbringen. Ob er reden will? Das werden wir sehen. Ich werde ihn zu nichts drängen. Aber ich werde auf jeden Fall hier bei ihm bleiben. Ich werde ihn nicht alleine lassen. Selbst wenn er versuchen würde mich loszuwerden, würde ich das nicht zulassen. Bitte sag ja.
Mein Blick geht noch einmal zu meinem Esstisch und wieder zu mir. Mein Mund hat sich leicht geöffnet und mein Atem geht schneller und schneller. "Ich..." Ich sehe sie an und spüre mein Herz sehr deutlich in meiner Brust schlagen. Das kannst du ihr nicht antun. Ich habe gesehen was meine Sucht den Menschen um mich herum angetan hat und ich will auch gar nicht wissen wie es Liz gerade geht - so weit weg. Ich kann das Mia nicht antun. Also nicke ich. "Ja." Sie zögert keine Sekunde und fängt an, alles zusammenzunehmen, um es zu entsorgen. Ich bewege mich durch den Raum, denn immerhin wird sie die Drogen ins Bad bringen und ebenfalls die Toilette herunterspülen. Ich massiere meine Nasenwurzel für einen Moment und mache mich daran das Chaos in der Küche zu beseitigen. Zum Glück hat sie ihre Schuhe nicht ausgezogen. Zuerst kümmere ich mich um das Glas - denn das ist am gefährlichsten. Der Mülleimer steht neben mir und ich sammle alles ein. Mein Kopf ist leer. Ich bin wütend auf mich selbst. Wie konnte ich nur so dumm sein? Wie konnte es soweit kommen? "Ich mach das." Sie ist zu mir in den Küchenbereich bekommen und hat nach dem Mülleimer gegriffen, um ihn etwas zur Seite zu stellen, damit sie sich um das Besteck kümmern kann. "Mia." Sie hört nicht. Sie hat sich hingehockt und beginnt vorsichtig - wahrscheinlich damit sie nicht in Glas greift - das Besteck zusammenzusuchen. "Lass es los." Da ist meine Stimme wieder. Sie klingt wütend und sehr bestimmend. Unsere Blicke treffen sich und wir sehen uns schweigend an. Dann macht sie weiter. Ich richte mich auf und werde wirklich laut. "Ich habe gesagt, dass du das sein lassen sollst." Ich habe den Mülleimer in der Hand und werfe diesen nun mit Wucht auf den Boden - was sie zusammenzucken lässt. "Fuck. Ich..." Ich wollte sie nicht erschrecken. Ich wollte sie nicht anbrüllen. Ich bin doch wütend auf mich und nicht auf sie. Wir sehen uns wieder an und mein Atem geht schwerer und schwerer. Doch ich stelle einfach nur den Mülleimer wieder auf und sammle weiter die großen Stücke der Scherben zusammen und werfe sie in den Eimer.
Mein Mund ist trocken und obwohl ich versuche zu schlucken, passiert nichts. Er hat mich angeschrien. Er hat den Mülleimer mit voller Wucht auf den Boden geworfen. Wohlgemerkt nicht nach mir, sondern "nur" auf den Boden. Ein paar der Glasscherben, auf die der Mülleimer wohl getroffen ist, haben sich erhoben und sie wieder zurück auf den Boden gefallen. Ich konnte nicht verhindern, dass mein Körper zusammengezuckt ist, aber mehr möchte ich mir nicht anmerken lassen. Ich habe mich erschreckt - sehr. Mein gesamter Körper ist angespannt. Doch meine Mimik und meine Blicke wirken vollkommen neutral. Wenn ich offen zur Schau stellen würde, was ich gerade empfinde, wäre ihm das jetzt gerade vielleicht gleich, aber ich bin mir sehr sicher, dass er sich später dafür verurteilen würde mich erschreckt zu haben und das möchte ich nicht. Er hat bereits jetzt und wird noch viel mehr mit sich auszumachen haben. Ich will für ihn da sein und es nicht noch schlimmer machen. Ich erhebe mich und bringe all das Besteck, das ich eingesammelt habe, zur Spüle. Es klimpert und gibt ein leises Geräusch von sich als ich es darin ablege. Dann widme ich mich wieder dem Boden. "Mia. Kannst du nicht einfach die Finger davon lassen?" Er klingt wütend. Ich blicke von dem Besteck auf, dass ich gerade in die Hand nehmen wollte, weil ich gerade nicht mit einem Mal alles aufheben konnte, und ihm direkt in die Augen. "Nein, Tristan. Das kann ich nicht." "Ich habe gesagt, dass ich das mache." Ich nicke langsam. "Das habe ich durchaus verstanden. Es ändert aber nichts an der Tatsache, dass ich dir helfen werde." Mit dieser Unordnung, aber auch mit allem anderen.
Sie hört nicht auf. Wieder greifen ihre Finger nach dem Besteck, um auch dieses zur Spüle zu bringen. Die großen Scherben habe ich zusammengesucht und nun sehe ich einfach nur sie an. "Ich habe einen Geschirrspüler." Sie hatte das Wasser in der Spüle angemacht. "Setz dich hin. Ich woll absaugen." Sie sieht mich an und bewegt sich nicht. Ich lasse sie für den Moment stehen und gehe in die Abstellkammer, um den Staubsauger zu holen. Ist ist so einer, der mit Akku funktioniert, daher muss ich kein Gabel anschließen. "Mia." Meine Stimme wird herrischer und lauter, denn sie ist gerade das Besteck in den verdammten Geschirrspüler zu packen. "Jetzt setzt dich gottverdammt nochmal hin und lass mich das hier machen." Und wieder macht sie weiter. Meine Hand ballt sich zur Faust und ich haue auf die Arbeitsplatte. Es ist laut und wieder zuckt sie zusammen. Doch meine Stimme ist lauter. "Jetzt setz dich hin und lass mich die Scherben wegsaugen. Ich bekomme es auch ganz gut allein hin Besteck in den Geschirrspüler zu packen. Du musst mir nicht hinterräumen. Als setzt dich jetzt hin!" Um meine Worte zu unterstützen zeige ich mit meiner Hand in Richtung des Esstisches. Ohne sie weiter zu beachten, mache ich den Staubsauger an und fange an das restliche Glas weg zusaugen. Wenn sie im Weg ist, dann ist sie eben im Weg.
Er schreit mich an. Er haut mit seiner geballten Faust auf die Arbeitsfläche. Dann beachtet er mich nicht mal mehr. All das macht mich in diesem Moment nicht traurig - vielleicht im Nachhinein -, aber es macht mich wieder wütend. Wirklich wütend. Es ist nicht unbedingt das er schreit, sondern wie er es tut und dann der Umstand, dass er mich nicht mehr beachtet. Es braucht ein, zwei Sekunden bevor ich mich wieder gefangen habe, doch dann gehe ich zu ihm. Ich stelle mich direkt vor ihn und den Staubsauger, sodass ihm gar nichts anderes übrig bleibt als mich anzusehen. Er ist wütend. Immer noch oder schon wieder. Es ist mir gleich. Das er seinen Mund öffnet, wohl um etwas zu sagen, ignoriere ich auch vollkommen. Ich hebe warnend meine Hand, meinen Zeigefinger im genauen und blicke ihm direkt in die Augen. "Sprich noch einmal so mit mir, Tristan. Noch ein einziges Mal." Obwohl der Staubsauer in seiner Hand immer noch an ist und dementsprechend ein Geräusch von sich gibt, sind meine Worte klar und deutlich zu verstehen. Ich schreie nicht. Das muss ich auch gar nicht. Ich lasse meine Hand wieder sinken, aber nicht den Blickkontakt abbrechen. "Hast du mich verstanden?"
Mein Atem geht schnell, während sie vor mir steht und mir den Weg versperrt. Doch es sind ihre Worte und wie sie mit mir spricht, was mich nun zusammenzucken lässt. Auf einmal ist mein Kopf nicht mehr leer und ich bekomme wieder mit, wie ich mich hier gerasde aufführe. Sie hat ihr Treffen verlassen, um bei mir zu sein, weil ich es nicht geschafft habe mir keine Drogen zu kaufen. Sie hat den Test für mich gemacht, sie hat aufgepasst, sie hat alles entsorgt und mir jetzt geholfen das Chaos zu beseitigen, das ich angerichtet habe. Und was mache ich? Ich schreie sie an. "Ich habe dich verstanden." Meine Stimme ist wieder ruhig und ich stelle den verdammten Staubsauger ab. Das Geräusch geht mir auf den Keks. "Entschuldige. Ich bin wütend auf mich und nicht auf dich." Ganz vorsichtig strecke ich meine Hand nach ihr aus und streiche leicht über ihren Arm. "Danke, dass du mir geholfen hast." Kurz wende ich meinen Blick ab, sehe sie dann aber direkt wieder an. Sie hat das Besteck komplett in den Geschirrspüler gepackt, es liegt nichts mehr auf den Boden. "Ich mache das noch fertig." Meine Finger streichen immer noch über ihren Arm, doch dann lasse ich von ihr ab, bevor sie die Küchenzeile verlässt. Ich mache den Staubsauger wieder an und sauge fertig, bevor ich die Spülmaschine anstelle. Ich bringe den Staubsauger wieder weg und bleibe dann auf Höhe der Küchenzeile stehe und sehe sie an. "Es tut mir so leid." Mein Herz explodiert fast in meiner Brust. "Ich wollte so nicht mehr sein."
"Entschuldige dich nicht, Tristan." Bin ich immer noch wütend? Ja. Aber meine Stimme klingt nicht mehr so eisig, sondern wärmer. Er ist nicht er selbst und dessen bin ich mir bewusst. Der Tristan, den ich bisher kennengelernt habe, hätte nicht so mit mir gesprochen, hätte sich nicht so verhalten, aber er ist gerade nicht er selbst und es ist nicht seine Schuld. Der Mann, der hier vor mir steht ist trotzdem der Tristan in den ich mich verliebt habe. Anders, aber deshalb für mich nicht weniger liebenswert. Er wollte so nicht sein - das sagt er selbst. Ich strecke meine Hand in seine Richtung aus. "Das du so nicht sein willst ist gut. Das du Liz angerufen hast ist gut. Das du mich gebeten hast herzukommen ist gut. Ich habe keine Ahnung wie du früher warst als du noch Drogen genommen hast. Ob du all das unter Drogeneinfluss auch getan hättest... also ob du dich bei mir gemeldet hättest. Du kannst stolz auf dich sein." Er schüttelt den Kopf, aber ich lasse ihn gar nicht erst zu Wort kommen. "Du kannst es vielleicht nicht auf dich sein, aber ich bin es auf dich. Hast du dir Drogen gekauft? Hast du. Aber du hast sie nicht genommen. Versteh mich nicht falsch, ich will nicht entschuldigen das du dir etwas besorgt hast, aber ich hoffe, dass du irgendwann siehst, was ich sehe... einen starken Mann, der in einem Moment der Schwäche trotzdem das Richtige getan hat."
Ihre Worte bedeuten mir unglaublich viel. Ich kann ihr gerade nicht sagen oder zeigen wie viel, aber es ist so. Denn natürlich hat sie Recht. Ich habe nichts genommen. Ich habe sehr lange überlegt, ich war mehrere Male kurz davor, doch ich habe es nicht getan. Ich habe sie angerufen, dann Liz. Ich habe mich in diesem Moment dagegen entschieden etwas zu nehmen. Sie hat ihre Hand nach mir ausgestreckt und ich gehe zu ihr. Langsam, aber ich gehe zu ihr und schließe sie in meine Arme. Fest drücke ich sie an mich und vergrabe mein Gesicht in ihrem Haar. Tief atme ich ein und halte sie einfach fest. Sie hilft mir runterzukommen. Das tut sie immer und es gelingt ihr auch jetzt. Zum einen ist das sehr gut, zum anderen lässt das wieder meinen Kopf arbeiten. Direkt drücke ich sie noch enger an mich. Wie konnte es nur soweit kommen? Es ging mir gut. Es ging mir sogar sehr gut. Natürlich war der Drang da - er ist immer da. Doch ich bin diesen nie nachgegangen. Bis heute. Es war kurz davor und wenn ich das getan hätte, dann hätte das einiges nach sich gezogen. Ich hätte den Sommerkurs vergessen können und wahrscheinlich auch den Semesterstart. Doch das war gerade tatsächlich nebensächlich. Ich hätte das Mia angetan. Ich hätte das uns angetan. Ich habe sie heute nicht gut behandelt - ganz und gar nicht. Dabei ist sie wegen mir hier. "Ich glaube mein Kopf explodiert gleich." Ich flüsterte die Worte nur und vergrabe mein Gesicht noch tiefer in ihr Haar. Ich würde gerade alles dafür geben die Zeit zurückzudrehen und diesen Abend ungeschehen machen.
Natürlich erwidere ich seine Umarmung. Wie könnte ich auch nicht? Meine rechte Hand lege ich behutsam an seinen Hinterkopf und schließe dann die Augen. "Möchtest du über das reden was in deinem Kopf vorgeht?", frage ich leise, während meine Finger damit beginnen zärtlich durch sein Haar zu streicheln. Er muss über gar nichts reden und das weiß er hoffentlich. Aber er kann mit mir über alles reden, wenn er das denn möchte. Kann ich mir überhaupt vorstellen, was gerade in ihm vorgeht? Nein. Es muss schrecklich für ihn sein. Ich könnte mir vorstellen, dass er sich dafür verflucht diese Drogen gekauft zu haben. Dass er sich dafür verflucht so zu mir gewesen zu sein. Sich dafür verflucht sein Lernen für all das unterbrochen zu haben. Und noch einiges mehr oder? "Vielleicht hilft es, wenn du ein bisschen was rauslässt." Ich drehe mein Kopf ein kleines Stück und vorsichtig, damit unsere Köpfe sich nicht in die Quere kommen. Dann drücke ich, wie schon vorhin, einen kleinen, sanften Kuss seitlich an seinen Kopf. Da sind überall Locken. "Aber du musst nicht. Vielleicht möchtest du dich erstmal setzen? Ich kann uns etwas zu trinken holen? Oder willst du schlafen?" Letzteres klappt wahrscheinlich gar nicht, aber ich will halt eines betonen ganz gleich was ihm helfen würde, ganz gleich was er jetzt tun will: "Ich bin hier und gehe auch nicht weg." Das werde ich heute nicht und auch die nächsten Tage nicht. Bis zu seinem Abschlusskonzert ist es nicht mehr lange. Ich werde das schon irgendwie hinkriegen.
Sie ist so lieb, obwohl ich sie gerade so mies behandelt habe. "Setzen klingt gut. Trinken auch." Ich würde mir auch selbst etwas holen, doch das würde sie wahrscheinlich nicht zulassen. Ich drücke sie noch einmal fest an mich, bevor ich die Umarmung dann löse. Ich sehe sie einen Moment an und es kommt tatsächlich ein kleines Lächeln auf meine Lippen. Wir lösen uns voneinander und ich gehe zum Bett. Ich setze mich auf dieses und rutsche bis zur Wand durch, um mich an diese anzulehnen. Es dauert nur kurz und sie kommt mit Wasser für sich und für mich zurück. Ich nehme ich das Glas ab und trinke direkt einen großen Schluck. "Danke dir." Ich trinke noch etwas und stelle das Glas dann zur Seite. Sie setzt sich ebenfalls auf das Bett und zieht auch wie ich die Schuhe aus. Ich muss morgen dringend die Wohnung saugen, damit auch wirklich nirgendwo mehr Glas herumliegt. Sie setzt sich in den Schneidersitz - natürlich darauf achtend, dass ihr Kleid alles bedeckt. Wir berühren uns nicht, daher bewege ich mich etwas, setze mich aufrecht hin und kann so mit meinen Fingern nach dem Saum ihres Kleides zu greifen. So kann ich meine Finger beschäftigen. "Ich weiß nicht wie das passiert ist." Mein Blick ist auf meine Finger gerichtet. "Auf einmal bin ich durchgedreht, dann habe ich diesen Typen angerufen und bin in die Stadt gefahren. Als ich wieder hier war, habe ich alles vorbereitet und dann saß ich zwei Stunden davor. Ich war immer wieder kurz davor etwas zu nehmen. Doch dann habe ich dich angerufen." Ich hebe meinen Blick und sehe sie an. "Ich hatte während meiner Therapie einen Rückfall. Es war schlimm. Das konnte ich dir nicht antun."
Ich war mir nicht sicher, ob er über heute sprechen würde. Ich hätte ihn auf jeden Fall nicht danach gefragt. Wie es soweit kommen konnte, woher er die Drogen hat und so weiter. Irgendwann? Ja. Aber nicht mehr heute. Doch er beginnt von sich aus darüber zu sprechen und ich hoffe, dass ihm das hilft. Vielleicht kann ich ihm helfen? Ich bilde es mir nicht ein, maße es mir nicht an, aber werde es versuchen. Während er von heute Nachmittag berichtet, nippe ich immer mal wieder an meinem Glas. "Was?" frage ich vor lauter Überraschung sehr leise nach. Ich lasse das Glas in meiner Hand auf meinen Oberschenkel sinken - meinen Blick dabei die gesamte Zeit auf ihn gerichtet. "Du... hast die Drogen nicht genommen, weil... meinetwegen?" Ich habe ihn ganz gewiss falsch verstanden. Ich kann damit gar nichts zu tun haben. Warum sollte ich?
Leicht neige ich meinen Kopf und unter anderen Umständen hätte ich wohl gelacht über ihre Reaktion. Doch nicht jetzt, nicht heute. Allerdings nicke ich. "Ja, wegen dir. Nicht nur, aber hauptsächlich." Mir ist bewusst, dass ich damit auch andere sehr verletzt hätte. Doch sie wäre die Person vor Ort gewesen. Wir haben gerade erst beschlossen, dass wir zusammen sind. Das ist noch einmal etwas ganz anderes. Ich greife mit meinen Händen in meine Haare und schiebe diese zurück. "Ich war drei Monate in einer Entzugsklinik. Nach etwa 1 1/2 Monaten durfte ich raus - ein Wochenende." Ich lehne mich wieder zurück, auch wenn ich sie dann nicht mehr anfassen kann. Aber meine Beine berühren die ihren. Hauptsache ich kann sie berühren. "Ich bin zu meinen Eltern, wollte mich dann Samstags mit Freunden treffen. Mit ausgewählten Freunden. Vorher bin ich spazieren gegangen und dann ist es passiert. Ich weiß nicht mehr viel von diesen Tagen. Ich war fünf Tage verschwunden, Liz und mein Dad haben permanent die Stadt abgesucht. Ich weiß nur noch Bruchstücke." Ich schließe meine Augen für einen Moment. "Meine kleine Schwester und ihre Nanny haben mich vor der Wohnungstür meiner Eltern gefunden. Ich weiß nicht einmal wie ich dort hingekommen bin." Meine Arme überkreuzen sich und ich reibe mit meinen Händen über meine Arme. Mein Blick findet wieder den ihren. "Das kann ich dir nicht antun. Das möchte ich niemanden mehr antun. Auch mir nicht." Mir geht es ja auch besser, seitdem ich nichts mehr nehme. Doch es ist schwer. Ich weiß, dass es einfacher wäre für mich, wenn ich nachgeben würde. Daher sind die Menschen um mich herum mein Ansporn - die, denen ich etwas bedeute. Und da gehört sie dazu.
Mein Blick ist ununterbrochen auf ihn gerichtet, während er mir diese Geschichte erzählt. Nicht nur seine Worte, auch seine gesamte Körpersprache erzählen von fünf Tagen, die im Nachhinein - denn er erinnert sich nur noch bedingt - schrecklich gewesen sein müssen. Wie schrecklich muss es sein von einer solch langen Zeitspanne keine beziehungsweise nur noch sehr wenige Erinnerungen zu haben? Wie fürchterlich muss man sich fühlen, als normal fühlender Mensch, wenn man um die Sorgen und Ängste der Freunde und Familie weiß? Ich kann mir gar nicht ausmalen, wie er sich damals gefühlt haben muss und selbst heute noch fühlt. "Du hast dich geändert, Tristan." Ich strecke meine Hand aus und lege sie auf sein Bein, um direkt meinen Daumen damit beginnen zu lassen ihn zu streicheln. "Heute war der beste Beweis." Ich habe ihm dazu gerade schon etwas gesagt, dass muss ich nicht wiederholen. "Ich bin mir der Tatsache, dass es bei all dem nicht um mich geht. Das ist etwas, was du mit dir ausmachst, aber ich bin..." Ich zögere ein, zwei Sekunden so als würde ich nach dem richtigen Wort suchen, was ich auch tatsächlich tue. "...froh, dankbar, erleichtert... sind alles nicht die richtigen Worte, aber zusammengenommen ergeben sie ungefähr das was ich bin, weil du dich bei mir gemeldet hast." Ich hoffe, dass er versteht was ich meine. "Ich werde kommen, Babe. Immer." Ich neige meinen Kopf ein Stückchen zur Seite. "Möchtest du genauer darüber sprechen wie es soweit kommen konnte und was wir..." Ich benutze an dieser Stelle bewusst das Wort wir auch wenn er das wie gesagt mit sich selbst ausmachen muss. "...dagegen tun können, dass es noch einmal soweit kommt? Ich werde dir helfen, wenn ich kann. Du... Du musst mir nur sagen oder irgendwie zu verstehen geben was ich tun kann."
Mein Blick geht zu ihrer Hand und ich lächle leicht. Es tut gut von ihr berührt zu werden - sehr gut. Es beruhigt mich ungemein. Ihre Worte beruhigen mich und zeigen mir nochmal auf, dass ich das richtige getan habe. Mein Blick geht zu ihr und ich bin ihr dankbar, dass sie da ist. Sie kann nicht mehr machen, doch eigentlich ist es das größte, dass sie das tut. Für sie ist das gerade sicherlich auch nicht einfach. Ich hoffe, dass sie gerade noch nicht so viel darüber nachdenkt. Aber das wird sicherlich kommen. Ich habe es bei anderen mitbekommen und jetzt betrifft es auch sie. Sie weiß, dass ich süchtig bin. Das habe ich ihr relativ früh erzählt. Doch es ist noch einmal etwas anderes es dann auch mitzuerleben. Ich beiße mir fest auf meine Unterlippe, weil ich wirklich sehr gerührt bin von ihren Worten. Meine Hand legt sich auf die ihre und ich drücke diese sanft. "Du bist hier. Das hilft viel mehr, als du es dir wahrscheinlich vorstellen kannst. Du bist hier und... bist toll. Dabei war ich so schlimm zu dir." Es hat sicherlich geholfen, dass ich sie vorgewarnt habe. Lizzy ebenso. Dennoch habe ich sie vorhin angeschrien und ich war ganz und gar nicht nett. "Ich glaube es war einfach zu viel. So richtig kann ich es nicht greifen." Mein Kopf senkt sich kurz und ich massiere mit meiner freien Hand meine Nasenwurzel einen Moment, bevor ich sie wieder ansehe. "Ich konnte mich nicht richtig konzentrieren. Ich glaube ich habe zu viel gelernt in den letzten Tagen." Ich muss etwas lachen. "Früher ging das ohne Probleme." Doch ich werde wieder ernst. Denn das Thema ist ganz und gar nicht lustig. "Es lief nicht und dann bin ich durchgedreht. Ich habe die Küche auseinandergenommen, haben den Typen angerufen und bin zu ihm gefahren. Alles total unbewusst. Es kommt mir eher vor wie ein Film, als wie bewusste Entscheidungen. Ich habe erst gezögert, als ich alles fertig hatte." Ich atme tief durch. "Ich glaube ich brauche eine andere Lernstrategie bis zu den nächsten Prüfungen. Die alte ist nüchtern nicht machbar." Ich greife nach meinem Glas und trinke einen Schluck. Alles mit meiner freien Hand, denn meine andere liegt noch auf ihrer. "Gerade bin ich nur sehr froh, dass ich dich angerufen habe. Ich wusste nicht, ob du die Nachricht liest. Eigentlich wollte ich dich auch nicht von dem Treffen wegholen. Das war wichtig, das weiß ich. Und ich sollte deinem Berufsleben nicht im Wege stehen." Immerhin ist dies der Hauptgrund wieso sie das zwischen ihnen geheimhalten. "Es tut mir so leid, Mia. Aber ich wusste, dass das du die einzige bist, die mich abhalten kann." Ich habe das für sie getan. Auch für meine Freunde, meine Familie - aber in dem Moment habe ich das für sie getan.
"Stop, stop, stop." Ich löse meine Hand von ihm und rutsche näher an ihn heran. Ich knie mich hin, damit ich vor ihm Platz finde. Er hat sofort verstanden was ich vorhabe und hat sich so hingesetzt, dass ich zwischen seinen angewinkelten Beinen knien kann - das hat alles nur wenige Sekunden gedauert. Ich nehme sein Gesicht behutsam in meine Hände und sehe ihm direkt in die Augen. "Es muss dir nicht leid tun. Du musst dich nicht entschuldigen. Hörst du?" Meine Stimme wird ernster. "Du musst es nicht nur nicht, sondern du darfst es nicht. Wag es dich nicht!" Ich atme einmal tief durch. Ich bin zwar ruhig, aber aufgewühlt und mir hilft es halt immer zu atmen. "Du hast das einzig richtige gemacht. Du hast dich bei mir gemeldet. Und ich bitte dich von ganzem Herzen darum das wieder zu tun, wenn es noch mal zu solch einer Situation kommt." Ich beuge mich vor, doch kurz vor seinem Gesicht zögere ich einen Moment. Ist es überhaupt der richtige Moment ihn zu küssen? Aber es würde meine folgenden Worte unterstreichen. Ich blicke wieder in seine Augen und dann spüre ich, weil meine Hände noch immer seine Wangen berühren, dass er sich ganz leicht bewegt. Nur minimal. Aber er bewegt sich zu mir hin und nicht zu mir weg. Also ist es in Ordnung? Ich schließe meine Augen und bette meine Lippen hauchzart auf den seinen, um ihm einen kurzen liebevollen Kuss zu geben. "Du gehörst jetzt zu mir, verstehst du?", flüstere ich ganz leise und sanft. "Ich beschütze was mir gehört."Aber ich wusste, dass das du die einzige bist, die mich abhalten kann. Ich werde alles geben, um ihn wann auch immer und wie oft davon abzuhalten.